MVP ist vielen ein Begriff!
Im Sport kennt man es als Most Valuable Player, doch in der Produkt- und Geschäftsmodellentwicklung steht es für das Minimum Viable Product. Wir klären auf, was ein MVP eigentlich ist und auch nicht ist, warum die am schnellsten umgesetzte Lösung auch die beste Lösung sein kann und welche konkreten Einsatzgebiete es für ein MVP gibt.
Inhalt im Überblick:
Was ist die Definition von MVP?
MVP steht als Abkürzung für „Minimum viable Product“ – manche nennen es auch „Minimal Viable Product“ – und bedeutet wörtlich übersetzt „minimal brauchbares oder existenzfähiges Produkt“. Gemeint ist damit die kleinste Lösung einer Produktidee, die für sich stehend funktionsfähig ist und Feedback generieren kann. Im deutschsprachigen Raum wird auch der Begriff MFP, also minimal funktionierendes Produkt, sinngleich verwendet.
Was versteht man unter einem Minimum Viable Product?
Die Idee und der Begriff des MVP leitet sich von der Lean Startup Methode ab, stammt aus dem Jahre 2001 und – wer hätte es gedacht – hat sich aus dem Sillicon Valley heraus etabliert. Insbesondere die Unternehmer Steve Blank und Eric Ries, Mitentwickler der Lean-Startup-Methode, sorgten für eine rasche Verbreitung des Begriffs.
Während Unternehmen traditionell daran interessiert sind, möglichst alle Bedürfnisse ihrer Kunden abzudecken und damit ein Produkt zu entwickeln, welches dann sowohl in der Entwicklung als auch im Vertrieb oft zu teuer ist, konzentriert man sich beim Minimum Viable Product auf die wesentlichen Kernfunktionen und bringt es zeitnahe auf den Markt bzw. in den Einsatz. Es geht bei der Entwicklung eines MVP also nicht um ein fertiges, perfektes Produkt, sondern um die Validierung einer Idee.
Das finanzielle Risiko wird durch schlanke und schnelle Prozesse minimiert und das Unternehmen wird in die Lage versetzt, weitere Hypothesen anzustellen, Hypothesen ohne positive Ergebnisse auszusortieren und sich bewahrheitende Hypothesen weiter zu verfolgen.
Grundsätzlich ist die MVP-Entwicklung in der Startup Szene bekannt, aber auch in etablierten Unternehmen kann es Sinn machen, geplante Digitalprojekte zunächst in möglichst kleiner Form auf Effizienz und Akzeptanz zu testen, um sie dann Stück für Stück weiter auszubauen.
Das MVP „ist nicht unbedingt das denkbar kleinste Produkt, jedoch der schnellste Weg, die Bauen-Messen-Lernen-Feedbackschleife mit dem geringstmöglichstem Aufwand zu durchlaufen.“
Eric Ries, Lean Startup (2011)
Was ist das Ziel der MVP-Entwicklung?
Im Vordergrund steht, dass das Minimum Viable Product schon einen Nutzen bietet, um Anwender auch zum Einsatz des Produkts zu bewegen. Nun gilt es möglichst viel Wissen über das Produkt, dessen Nutzer und bei Eintritt in einen neuen Markt auch über das Geschäftsmodell zu erlangen. Durch einen extrem schnellen Time-to-Market werden in einem frühen Stadium des Produkts schon Ergebnisse erzielt und echtes Feedback von Kunden eingeholt.
Hauptziel des MVP ist das Einholen von Nutzerfeedback an einem möglichst frühen Zeitpunkt, um dann iterativ, also in kleinen Schritten, eine Produktlösung mit dem höchstmöglichen Nutzen für die Anwender zu entwickeln. Es geht also nicht alleine um das Sparen von Kosten, sondern das Vermeiden von Fehlentwicklungen am Endnutzer vorbei.
Der Kerngedanke des MVP besteht aus dem Zyklus Entwickeln, Messen, Lernen und Wiederholen.
In welchen Fällen könnte sich die Entwicklung eines MVP lohnen?
Wenn das Budget begrenzt ist und eine Geschäftsidee oder Hypothese validiert werden soll, dann eignet sich der Einsatz eines Minimum Viable Product besonders. Eine Hypothese könnte zum Beispiel sein, dass mit der Digitalisierung eines Geschäftsprozesses Zeit und Geld gespart werden kann. Bevor das Unternehmen jetzt riesige Budgets in die Hand nimmt und sich die Hypothese am Ende als Falsch herausstellt, kann so mit minimalem Einsatz das Maximum an Erkenntnissen und Feedback gesammelt werden. Sollte sich die Hypothese nun bewahrheiten, können iterativ weitere Hypothesen aufgestellt werden, um so einen möglichst perfekten digitalen Prozess zu entwickeln, der den analogen Ablauf Stück für Stück ablösen kann und den Anforderungen der Kunden gerecht wird.
Um diese Frage zu beantworten, sollte man zunächst den Begriff Prototyp abgrenzen.
Auch beim Prototyp handelt es sich um eine erste funktionsfähige Version einer Produkt- oder Geschäftsidee. Oft wird die Begrifflichkeit auch fälschlicherweise synonym verwendet. Der große Unterschied zum MVP ist jedoch der, dass ein Prototyp nicht live zum Einsatz kommt, sondern nur zu internen Testzwecken entwickelt wird. Nach Eric Ries ist ein MVP anders als ein Prototyp „nicht darauf ausgelegt, Fragen zum Produktdesign oder zu den technischen Merkmalen zu beantworten [..., sondern um] grundlegende Geschäftshypothesen zu überprüfen“. In manchen Fällen kann ein Prototyp jedoch Vorstufe des Minimum Viable Product sein.
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Prototyp | MVP |
Funktionsfähig? | Nein ❌ | Ja ✅ |
Kommerziell? | Nein ❌ | Ja ✅ |
Nachhaltig? | Gering, wird im Anschluss nicht weiter genutzt | Hoch, dauerhafter Bestand und weiterer Ausbau |
Nutzerfeedback? | Eher Qualitativ 💙 | Eher Quantitativ 📊 |
Zweck? | Machbarkeit | Akzeptanz / Validierung einer Hypothese |
Ein gutes Beispiel für ein MVP ist die erste Version von Spotify.
Die Gründer konzentrierten sich bei der Entwicklung vorerst vollständig auf die Kernfunktion, nämlich das fehlerfreie und reine Streaming von Musikstücken. Diese erste Version wurde zunächst Freunden und Familienmitgliedern vorgeführt, bevor sie exklusiv an schwedische Musik-Blogger verteilt wurde. Das Feedback der Nutzer wurde gesammelt und als sich herausstellte, dass die Gründer mit dieser Geschäftsidee Erfolg haben könnten, wurden die Funktionen allmählich erweitert und das Produkt in mehr und mehr Ländern ausgerollt. So wurde Spotify vom Lean Startup zum weltweit größten Audio-Streamingdienst.
Ein anderes Beispiel für die erfolgreiche MVP-Entwicklung ist das heute zum Meta-Konzern gehörende Instagram. Kevin Systrom und Mike Krieger entwarfen eine location-based iPhone App mit dem Namen burbn. Vergleichbar mit Foursquare konnten Nutzer hier an bestimmten Locations einchecken, Bewertungen abgeben und mit Freunden kommunizieren. Die App war jedoch nicht sonderlich erfolgreich und wurde von den Nutzern als zu kompliziert wahrgenommen. Die Gründer schauten sich jedoch die Nutzerdaten sehr genau an und erkannten, dass eine Funktion sich großer Beliebtheit erfreute: Das Posten und Teilen von Fotos. Also wurde links und rechts alle Funktionen der App entfernt und sich nur noch auf das Teilen von Fotos konzentriert. Nach einigen Prototypen und Experimenten samt kam die App 2010 als MVP mit nur einer Kernfunktion auf den Markt, wurde durch das Sammeln von Nutzerfeedback konsequent verbessert – und wurde nur zwei Jahre später von Facebook für fast 750 Millionen Dollar übernommen.
Auch in Großkonzernen lohnt sich der MVP-Ansatz. Ein großes schwedische Bergbauunternehmen kam 2017 mit dem Wunsch auf uns zu, eine Krisenmanagement-App zu entwickeln, welche einen Leitfaden zum Verhalten in Gefahrensituation inklusive Ansprechpartnern und einer Kontaktliste aller entscheidenden Mitarbeiter enthält. Hoher Wert wurde auf die Offline-Verfügbarkeit gelegt, da unter Tage kein Empfang möglich ist. In Zusammenarbeit mit einem schwedischen Projektteam entwickelten wir das MVP mithilfe von Microsoft PowerApps. Anstatt den finanziellen Aufwand mit einer aufwendigen Eigenentwicklung unnötig in die Höhe zu treiben, wurden die Kernfunktionen mit der LowCode-Plattform von Microsoft gebaut, welche die Benutzeroberfläche bereits mitliefert und unkompliziert an die bestehenden Schnittstellen angeknüpft werden kann. Im Einsatz wurde Feedback der Anwender gesammelt und in der Entwicklung umgesetzt. So konnte mit geringem Aufwand der maximale Nutzen für die Bergbauer unter Tage geschaffen werden.
Von der Idee über das Minimum Viable Product zum vollumfänglichen Produkt
Zunächst einmal geht um das Aufstellen einer Hypothese, ganz gleich, ob es um ein Geschäftsmodell oder eine Prozessveränderung geht. Eine Hypothese könnte wie folgt aussehen: Das Unternehmen geht davon aus, dass eine innovative Umstellung eines Geschäftsprozesses von analog zu digital langfristig die Effizienz steigert, Kosten senkt und Umsatz erhöht. Nun wird diese Hypothese nach dem Prinzip Entwickeln, Messen, Lernen und Wiederholen validiert.
Entwickeln
Aus der Hypothese heraus wird ein MVP entwickelt, welches einzig und allein die Kernfunktion enthält, welche den analogen Prozess ablösen soll.
Messen
Nun wird das MVP mit echten Nutzern getestet.
Lernen
Möglicherweise stellt sich heraus, dass das MVP von den Nutzern nicht genutzt wird, wie erwartet.
Wiederholen
In diesem Fall werden Anpassungen vorgenommen und eine weitere Iteration zur Verbesserung des MVP entwickelt. (Wiederholen)
Ist man nun an dem Punkt angelangt, an dem der Nutzen der Kernfunktion maximiert wurde und die anfänglich getätigte Hypothese validiert, kann man sich daran machen das MVP hinsichtlich Effizienz, User Experience und weiteren Features zu verbessern und zum vollständigen Produkt auszubauen.
Mehr zu dem Thema erfahrt ihr in unserem Blogbeitrag „In 5 Schritten von der Idee zum MVP“.
Fazit
Das Minimum Viable Product ist Werkzeug, um eine Hypothese in Bezug auf ein neues Geschäftsmodell oder einen Prozess im Unternehmen, der digitalisiert werden soll, bei gleichzeitig begrenztem Budget möglichst exakt und risikominimierend zu validieren. Aufbauend auf der belegten Hypothese kann dann das Kundenfeedback genutzt werden, um das MVP zum umfangreichen Produkt zu schleifen. Mit die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung eines Minimum Viable Product ist das richtige Mindset. Sicherlich hat man eine Menge Ideen und Visionen im Kopf und sieht sein Produkt schon in den heiligen Hallen der Produkte, die es geschafft haben. Aber beim MVP geht es insbesondere um das drastische Priorisieren der Features eines Produkts und die Konzentration auf die Kernfunktion. Es braucht Mut, um die eigenen Ideen auf den Prüfstand zu stellen und sich auch der möglichen Tatsache zu stellen, dass die eigene Idee vielleicht noch nicht so gut ist wie gedacht. Noch nicht.